(TEIL 2) RECHERCHIERT OSKAR HEINKE. Die Persischen Briefe – Der Okzident aus der Sicht des nicht so ganz orientalischen Orients.
– Die Pariser im Visier
Auch die Pariser nimmt Montesquieu ins Visier:
„Die Neugier der Bewohner von Paris streift an Narrheit. Als ich hier ankam, wurde ich angestaunt, als ob ich vom Himmel gesandt wäre; Greise, Männer, Weiber, Kinder, alle wollten sie mich sehen. So oft ich ausging, stürzte jedermann ans Fenster; in den Tuilerien bildete sich immer gleich ein Kreis um mich; selbst die Frauen umgaben mich wie ein tausendfarbiger Regenbogen.“
Dieser Auszug aus dem dreißigsten Brief beschreibt die gesellschaftliche Faszination für den Orient. Tatsächlich lässt es uns an Gemälde zeitgenössischer Künstler denken, die eben diesen Pariser Wahn festgehalten haben, wie zum Beispiel Charles Parrocels (1688 – 1752) Gemälde Mehemet Effendi, Ambassadeur Turc, Arrive Aux Tuileries, 21 Mars 1721, welches den Tumult zeigt, den das Eintreffen des Türkischen Botschafters in den Tuileriesgärten auslöste.
Doch noch im selben Brief erzählt Rica, wie er, sobald er seine persische Kleidung abgelegt hatte und in europäischer Kleidung, also inkognito, die Straßen der französischen Hauptstadt erkundete, unsichtbar wurde. So schnell verloren die Pariser an ihm ihr Interesse:
„Durch diesen Versuch kam ich zur Erkenntnis meines wirklichen Wertes. Alles ausländischen Schmuckes entkleidet, sah ich mich nach meinen Verdienste gewürdigt. Ich hätte mich wohl über meinen Schneider beklagen dürfen, durch den ich in einem Augenblicke die allgemeine Achtung und Beachtung verloren hatte; denn plötzlich verschwand ich im großen Nichts. Ich verweilte manchmal stundenlang in einer Gesellschaft, ohne daß man mich eines Blickes gewürdigt oder mir Gelegenheit geboten hätte, meinen Mund aufzuthun.“
Montesquieu kritisiert an dieser Stelle die oberflächliche Faszination der Pariser für den Orient. Nur der Anschein zählt. Die Menschen der französischen Hauptstadt werden als sensationsgetriebene oberflächliche Personen beschrieben. Eine weitere Kritik, die der französische Autor nicht mit seinem eigenen Namen zu unterschreiben wagte.
Ähnlich wie die damalige okzidentalische Darstellung des Orients, schafft Montesquieu ein übertriebenes, karikaturähnliches und kritisches Bildnis der europäischen Gesellschaft, denn schon in der ersten Hälfte des XVIIIten Jahrhunderts basierte der Orientalismus auf einer fantastischen, exotischen, kitschigen und erotisierten Fantasie.
Über das XVIIIte und XIXte Jahrhundert hinaus fasziniert der Orient auch in späteren Jahrhunderten die Künste. So versuche sich Henri Matisse und Pablo Picasso am Anfang des XXten Jahrhunderts an dem orientalischen Topos. Selbst im Stummfilm hat dieses Thema Fuß fassen können, zum Beispiel in Filmen wie Sumurun von Ernst Lubitsch oder L’Atlantide von Jacques Feyder.
(NOTIZ DER VERLEGERIN)Montesquieu,Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu (1689-1755). Französischer Schriftsteller und Philosoph. Er begeistert sich zuerst für die Wissenschaft und schreibt verschiedene Essays. 1721 veröffentlicht er die Persischen Briefe(Les Lettres persanes), die eine Satire der französischen Gesellschaft sind. 1728 wurde er in die Académie Francaise gewählt. Im gleichen Jahr unternimmt er verschiedene Reisen in Europa, die ihm erlauben, das politische System in Frankreich mit den Nachbarländern zu vergleichen. Daraufhin schrieb er und veröffentlichte anonym 1748 sein Hauptwerk L’Esprit des lois. Dieses wurde stark kritisiert; aber beeinflusste intensiv seine Epoche; und in den Anfangsjahren der Französischen Revolution(1789), die Autoren der Französischen Verfassung 1791. Auch war er beteiligt an der redaktionellen Arbeit der l’Encyclopédie.
BILDBIBLIOGRAPHIE: Stéphane BLOND, « L’ambassadeur turc Mehemet Effendi au jardin des Tuileries », Histoire par l’image[en ligne], consulté le 18 avril 2021. URL : http://histoire-image.org/fr/etudes/ambassadeur-turc-mehemet-effendi-jardins-tuileries
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TEIL 1 – Der Orient, Phantasma der Künstler
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