Von Oscar Heinke.
1/6 Von der Straße unter das Dach. Der Tag neigt sich seinem Ende zu, hier in der Stadt der ewigen Liebe. Wie Obulis im Styx spiegelt sich der goldene Schein der Straßenlaternen im pechschwarzen nassen Asphalt. Im selben gelbgoldenen Schein baden die Haussmann Fassaden der großen Avenues – hinter den unzähligen Fenstern erblickt man Ausschnitte des Pariser Alltagsleben. Die Menschen kommen aus den Büros und eilen zu den Eingängen der Metro, als wollen sie dem kühlen und feuchten Winterabend entfliehen. Eine typische Szene.
Im Herzen dieses regen Getümmels liegt die Hochburg des französischen Theaters, das Hotel Richelieu, Heimat der Comédie Francaise. Es liegt gegenüber vom Louvre und auf dem Vorplatz herrscht Stimmung. Laut wird es auf den Terrassen der umliegenden Cafés; Busse und Taxis flitzen vorbei. Aber mit nur einem Schritt in das Gebäude verschwindet der Lärm der belebten Pariser Straßen. Hier lebte ehemals Cardinal Richelieu, höchste religiöse Instanz des Landes und engster Berater des Königs. Mit Dumas Roman wurde er als manipulativer Antagonist verewigt, doch ist sein Vermächtnis weitaus größer. Richelieu war unter anderem ein großer Mäzen des Theaters. So ist es nur zu passend, dass die wichtigste Theaterinstitution Frankreichs heute in diesem historischen Gebäude ihr Zuhause hat. In den Saal Richelieu kamen und kommen die größten Bühnenschauspieler der Welt zu Wort. Meist ist die Eingangshalle gefüllt von Theaterliebhabern, die auf den Einlass in den majestätischen Saal warten. An diesem Tag aber, ist die Eingangshalle so gut wie leer. Es geht, rechts an den großen Türen vorbei, in einen Aufzug, der die Besucher in kleinen Gruppen nach oben, unter das gewaltige Dach des Gebäudes bringt. Hier, genau über dem weltberühmten Saal, kommen monatlich Theaterliebhaber zusammen um in einem intimeren Rahmen die Schauspieler, Regisseure oder Schriftsteller zu erleben. Unter den massiven Holzbalken des Obergeschosses nehmen dann die etwa 150 Teilnehmer platzt und lauschen den Worten der Künstler.
2/6 Eine Geschichte in Bildern
Tiefenentspannt, ganz unscheinbar setzt sich Pascal Rambert, hinter das Pult, welches auf einer kleinen Bühnenartigen Anhöhe vor dem Publikum steht. In Jeanshosen und Sportschuhen grüßt er das Publikum und einige Bekanntschaften, die sich im hinteren Bereich des Raumes aufhalten. In gelassener Atmosphäre beginnt das Interview. Anstatt der üblichen Fragen, werden Bilder an die Wand projiziert, auf die Pascal Rambert Bezug nimmt. Hier, im Sitz der Comédie Francaise, mit deren Truppe er 2005 für Le Début de l’A und 2017 für Clôture de l’amour kollaboriert hatte, dürfen die Zuschauer ihn näher kennenlernen.
3/6 Philosoph werden? Vielleicht doch nicht. Mit einem Portrait des kürzlich verstorbenen Philosophen Clément Rosset beginnt die Reise durch Ramberts Werdegang. Kaum ein philosophisches Werk hat den Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller Pascal Rambert so beeinflusst wie „La Philosophie Tragique“. Den Autor des Werkes hatte er gekannt. Als junger Student in Nizza teilte sich Pascal Ramberts Interesse zwischen Theater und Philosophie. Als Philosophiestudent spielte er zu der Zeit mit der Idee selbst Philosoph zu werden und dies mit dem Theater zu vermischen. Doch als er im Unterricht auf Clément Rosset traf, wurde ihm „zum ersten Mal klar, wie groß der Unterschied zwischen einem Philosophie Professor und einem wahrhaften Philosophen sein konnte“. Rosset war an erster Stelle ein Philosoph, an zweiter Stelle ein Professor. „Er sagte immerzu‚ ich weiß nicht, oder ich bin mir nicht sicher“, erinnert sich Rambert. „Das hat mir gefallen, da ich es schon damals nicht mochte, wenn man sagte, dass das Theater so und nicht so ist, oder die Philosophie so ist und nicht so“. Dogmatische Diskurse gefallen Rambert eben nicht, vielmehr gefällt ihm der Moment der Unsicherheit, der die weitere Reflektion zu einem Thema stimuliert. Besonders gekennzeichnet aber hat Rambert die Philosophie de la Joie, die Philosophie der Freude, die sein Mentor begründet hatte.
4/6 La joie de vivre – hier und überall
„Das Theater ist so schwierig, man muss daran Freude haben – man muss es sich wünschen, danach lüstern. Als ich anfing für bestimmte Schauspieler zu schreiben, hat sich alles verändert“. Als reisender Schriftsteller und Regisseur hat er überall auf der Welt an Theaterstücken mitgewirkt. Die Schauspieler, mit denen er jeweils kollaboriert, sind ein wesentlicher Bestandteil seines Schreibprozederes, denn Pascal Rambert schreibt seine Stücke für die Schauspieler. Er lernt sie kennen, redet lange mit ihnen, beobachtet sie auf der Bühne und lässt sich von ihren Körpern, ihren Leben und ihren Persönlichkeiten inspirieren. „Jeden Abend gehe ich ins Theater, ich kenne die Schauspieler, ich kenne ihre Körper“. Führt er Regie, so muss aber auch die Atmosphäre stimmen: „Ich kann es nicht ab, wenn man mit Leuten arbeitet, die nörgeln und nicht mit Freude ans Werk gehen“. Von der Joie de Vivre geleitet, hat sich Pascal Rambert seit seinen Studienjahren einen Namen in der internationalen Theater- und Tanzszene gemacht- unter anderem als Direktor des T2G-théâtre de Gennevilliers (2007 – 2016); als Schriftsteller für das Théâtre National de Strasbourg (seit 2014); als Choreograph dessen Werke auf Festivals in Montpellier, Avignon, Utrecht, Geneva, Ljubljana, Skopje, Moskau, Hamburg, Freiburg, Tokyo, New York aber vor allem als Theaterschriftsteller dessen Stücke in mehr als 17 Sprachen übersetzt wurden.
Mal ist er nur zwei Wochen im Jahr in seiner Heimatsstadt Paris, denn international ist er sehr begehrt. In Egypten, Syrien, China, Mexico genauso wie in Deutschland, Frankreich oder Italien lernt er immer erst die Schauspieler der Truppe kennen bevor er das Stück hinter dem PC Bildschirm auf das Papier bringt. Kaum ein Land auf Erden, hat Rambert noch nicht bereist, und in vielen hat er seine Stücke spielen lassen. „Die Identität der Schauspieler und die Identität ihres Landes spielen in der Schaffung meiner Texte eine wichtige Rolle“. So sind neben psychoanalytischen Thematiken, zu denen während des Interviews passend ein Bild von Freud auf die Wand projiziert wurde, auch zeitgenössische Politik und Gesellschaftspsychologisches zu Leitmotiven seiner Stücke geworden.
5/6 Rambert und der Zerfall einer Zivilisation
„Seit mehreren Jahren fühle ich mich hilflos gegenüber der Gesellschaft, in der ich lebe“, erklärt er nachdenklich. „Wenn man Theater macht, macht man zugleich Geopolitik“ führt er fort. So haben geopolitische Vorkommnisse gerade auf ihn einen großen Einfluss, da er diesen oft konfrontiert ist. Ob in Syrien oder in China, die gesellschaftlichen und politischen Stimmungen des Landes gehören zur Organisation eines Projektes dazu, man muss sich anpassen. Manches Projekt kann aus solchen Gründen nicht stattfinden, „das ist für mich immer die größte Niederlage“, erklärt er. Selbst in Frankreich, beschäftigen ihn politische und gesellschaftliche Veränderungen: „Wenn wir die Wahlresultate des Front National sehen, …, darauf scheinen wir keine ideologische Antwort zu haben“, so Rambert. In seinen Stücken aber nimmt Rambert nicht explizit dazu Stellung, sondern genügt sich verschiedene Ideologien und Persönlichkeitstypen zu konfrontieren. Seine Stellungnahme, wenn auch subtiler als eine klare Verurteilung, sticht aber immer eindeutig heraus.
Er sieht das Theater als demokratischen Whistleblower. Als Beispiel erläutert er seine Erfahrungen in China, wo er seine Texte vor der Aufführung den Behörden zur Zensur übergeben musste. „Die Sätze, die gestrichen wurden, konnten wir während der Aufführung nicht mehr sagen, an ihrer Stelle haben wir einen Moment Stille gelassen. Dank der Stille, dieser Pause, durch ihre Abwesenheit, sagten wir, dass was zuvor geschrieben war“. Auch ohne Wort kann das Theater, Rambert zufolge, politisch Stellung nehmen, nicht mit dem was da ist, sondern eben mit dem was fehlt. Noch mehr sorgt ihn aber die dispertion de l’attention, die Zerstreuung der Aufmerksamkeit. Er beschwert sich darüber, dass Menschen heute fünf Sachen zu gleich machen und kaum jemand sich Momente genehmigt, in denen man sich nur auf eine Sache konzentriert. „Mein Metier braucht Menschen, die aufmerksam sind, die zuhören, die sich Zeit nehmen“.
6/6 Der Konstantin Gavrilovič Treplev der Neuzeit?
Pascal Rambert, als Person und Schaffer, in Worte zu fassen ist ein schwieriges Unterfangen. Rambert zweifelt daran sich selbst schreiben zu können. Ein Autor aber habe es geschafft, erklärt er: „Als ich zum ersten Mal Die Möwe laß, dachte ich mir, ja, das bin ich“. Größer hätte der Einfluss Anton Tchekhovs auf den jungen Dramaturgen nicht sein können. Vor allem in der Person des Konstantin, dem Protagonisten der Möwe, ein junger Theaterschriftsteller, der vom Weltschmerz geplagt sich seinem Umkreis beweisen möchte, habe ihn geprägt. „Als ich das Haus Tchekhovs besichtigt habe – es wurde so belassen, wie es war als er dort lebte – war ich zutiefst gerührt, es war wie eine persönliche Pilgerfahrt“. Tatsächlich erkennt man in Rambert gewisse Ähnlichkeiten mit Tchekovs Konstantin, wenn Rambert doch einen viel freudigeren und lockereren Eindruck macht.
Zwischen Philosophie und Theater, zwischen Tchekhov und Freud, zwischen Lebensfreude und politischem Weltschmerz, so ist Pascal Rambert eine facettenreiche und komplexe Person. Trotz dessen bleibt er bescheiden und humorvoll, niemals kategorisch oder gar dogmatisch. Viel lieber antwortet er halt eben: „Ich weiß es nicht“ oder „ich bin mir nicht ganz sicher“.
SÉRIES GRENIERS DES MAÎTRES, zu Gast war PASCAL RAMBERT, Autor und Theaterregisseur, am 12 November 2019, in der Comédie Francaise in Paris.