PORTRAIT. Das ist schon sehr auffallend. In einer deutschen Kleinstadt, in einem Lebensmittelladen, trägt ein junger Angestellter, in rasendem Tempo, zwei riesige Müllsäcke gefüllt mit Pfandflaschen. Das Bild ähnelt einem asiatischen Wasserträger. Die äußere Erscheinung des Mannes wirkt deutsch. Leos Tage sind vollbepackt mit Dienstleistungen für den Kunden. Dennoch trägt er seine Last mit einer Eifrigkeit, scheinbar unaufhaltsam, die ins Staunen versetzt. Noch beeindruckender ist seine Geschichte.

Leo arbeitet seit kurzem als Triebfahrzeugführer in einem Nahverkehrsunternehmen. Vorher arbeitete er in einem Lebensmittelladen. Wir trafen uns, um über seine Arbeitswelt zu sprechen. Ein heikles Thema, denn viele Arbeitsverträge verbieten über bestimmte Details zu reden. Gerade über Begriffe wie Mitsprache und Mitgestaltung.

Geschwindigkeit

Viele Gründe sprechen dafür, dass derjenige, der den Lohn bezahlt bestimmt wie gearbeitet wird. « Das ist aber bei jedem Dienstleister der Kunde. » Deshalb ist ein Großteil der heutigen Arbeitsmarktsituation unbewusst vom Kunden verursacht. « Jeder hat es immer eilig. Die meisten wollen viel Ware und Dienstleistung für möglichst wenig Geld. » Durch das Internet und die höhere Mobilität, entsteht ein Druck im Dienstleistungsbetrieb und Handel. « Alle sagen, beim Aldi und im Internet ist es billiger. »

Dass der Kunde handelt, kommt nicht vor. Es stimmt nicht, wie im Fernsehen berichtet wird, dass der Kunde sich den Preis vom Internet ausdruckt oder mit dem Aldiprospekt in den Laden kommt; um eine Preisreduzierung von 2 Euro zu erhandeln. „Der Kunde bestimmt aber indirekt die Preise, indem er bestimmte Läden mit höheren Preisen und schlechtem Service, nicht mehr besucht.“

Es gibt einen Unterschied zwischen einem Discounter(Aldi) und einem Vollsortimenter. Ein Vollsortimenter ist ein Lebensmittelgeschäft, das in verschiedenen Preisklassen Lebensmittel und andere Produkte (Drogeriewaren und Haushaltsartikel) anbietet. Leo vergleicht den Discounter mit einer Massentierhaltung. „Der Kunde und der Mitarbeiter sind auf Geschwindigkeit angelegt“. Impulskäufe sind erwünscht und der Mitarbeiter hat gewisse Zeitvorgaben, wie viel eine bestimme Menge an Ware zum Einräumen dauern darf.

Leo verurteilt aufs Schärfste das Schimpfen über den Kundenservice, wenn wenig Mitarbeiter vorhanden sind. Einerseits möchte der Kunde nicht den Mitarbeiter bezahlen, indem er einen höheren Preis für das Lebensmittel bezahlt. „Andererseits darf der Kunde sich nicht beschweren, dass es mehr kostet. Dafür gibt es mehr Auswahl, Service und ein gehobenes Einkaufsflair.“

Lebensstandard

Leo ist in den Einzelhandel gekommen, dadurch dass er einen Teil seines Führerscheins selber bezahlen musste. Er findet es auch pädagogisch richtig, dass Kinder und Jugendliche nicht alles bezahlt bekommen, und suchte sich einen Job. „Ich bin mit siebzehn in einem Supermarkt an der Kasse hängengeblieben“. Mit dem Führerschein kam das erste Auto, das kostete auch wieder Geld. „So bin ich im Supermarkt an der Kasse geblieben“, weil das Geld irgendwo herkommen musste.

Lebensstandard ist für Leo wichtig. Ein Auto allein tat es nicht. Es musste noch ein Motorrad dazu. „Andere Mitschüler haben viel Sport und Kunst gemacht, und Theater gespielt.“ Schnell erfuhr er, dass Schulabgängern mit Abitur die Ausbildung halbiert werden kann. Das war für ihn schnelles Geld zum einen und zum anderen, ein Mittel zum Leben. Er sieht die Lebensmittelbranche als eine zukunftsstabile Branche, „weil essen immer alle müssen“.

Erfahrungen

Leo ist Kaufmann im Einzelhandel. Den Kaufmann im Einzelhandel hat er erworben in eineinhalb Jahren. Mit guten Noten und verkürzt durch das Abitur. Inzwischen weiß er, dass auch in anderen Gewerben oder Branchen durch das Abitur eine Ausbildungszeitverkürzung möglich ist. Auch im Handwerk ist es üblich, um ein Jahr zu verkürzen. Und der Konzern, bei dem er die Ausbildung gemacht hat, hatte noch ein Abkommen mit der IHK(Industrie und Handelskammer), dass deren Azubis auf die Berufsschule verzichten dürfen und dafür in betriebsinternen Seminaren mehr Geschwindigkeit beigebracht wird. Auf die Art hat er nochmal ein halbes Jahr Ausbildungszeit gespart, um auf eineinhalb Jahre zu kommen. Es ist eine voll anerkannte Ausbildung. Er ist nicht der Meinung, dass er in der Ausbildungszeit etwas verpasst hat. „Außer, dass Erfahrungen durch Zeit und Übung kommen. Je länger, desto besser“. Das sieht er als Nachteil einer verkürzten Ausbildung.

Er kann sich nicht vorstellen selbstständig zu machen. Zumindest nicht in der aktuellen Wirtschaftslage. Weil er denkt, „es geht sehr viel Geld und Lebensqualität verloren“. Es ist ein großes Risiko. Dazu gehören viel Erfahrung und eine solide Form von Absicherung. Um in der Not, die komplette Investition abzuschreiben. „Besser ist ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“.

„Vielleicht drücke ich mich da vor irgendeiner Verantwortung!“ Aber in so einem Fall ist er lieber auf der sicheren Seite und „mit weniger zufrieden“ als mit mehr. Er gehört nicht zu den Menschen, die immer zum höchsten Erfolg streben sondern einfach mehr vom Leben haben wollen.

Freiheit

Das Wichtigste für ihn ist Freiheit. Sich frei bewegen zu können. Bestimmen zu können, zu welcher Zeit er was macht und mit welchen Menschen er seine Zeit verbringt. Was er isst und wo er sich aufhält. „Allgemeine Freiheit selber bestimmen zu können, wie ich mein Leben führe und gestalte“ und sich nicht von Trends oder Modeerscheinungen reinreden zu lassen. Oder von Leuten, die sich nebenan stellen und „über den Gartenzaun maulen, was denn jener Mist oder das Ganze soll und ob es nicht besser wäre wie der „Onkel Werner“ das und jenes zu machen, denn wenn der mal in Rente geht, hat der das und du nicht“.

Er ist hart im Nehmen. Entweder macht er die Dinge richtig oder er überlässt es Leuten, die es besser können. Daher kommt es, dass er in seiner Arbeit und im Privaten, das was er will meistens erreicht. Er hat ein Ziel vor Augen und im Moment dann viel Kraft, Leidenschaft und Willen es durchzusetzen.

„Eine Freiheit existiert“, sie ist aber in verschiedene Richtungen eingeschränkt. Die Gesamtsituation auf der Welt will es, ob im Wirtschaftlichen oder im Politischen, dass die Freiheit in bestimmten Fällen eingeschränkt ist, und eine Bevormundung bestimmten Personengruppen überlassen ist. Das sind der Gesetzgeber oder irgendwelche „selbsternannten Hilfssheriffs, die in Sachen reinreden“.

Er kann sich nicht vorstellen „komplett unfrei“ zu leben, „gefesselt oder angebunden“! Oder dass jeder Atemzug reglementiert wäre. Er sieht die Einschränkung der Freiheit nicht als Unfreiheit, sondern als Verpflichtung an. Die Freiheit des einen hört dort auf wo die des anderen anfängt.

Es ist heute in der Gesellschaft notwendig, die gegenseitige Rücksichtnahme zu reglementieren. „Die Rücksichtslosigkeit hat zugenommen in den letzten Jahren und Jahrzehnten.“ Durch die Zunahme der Bevölkerungsdichte wird die Räumliche Freiheit der einen Person durch die Freiheit des Nachbarn eingeschränkt.

„Rücksichtslosigkeit und Schnelllebigkeit sind die Resultate einer gewachsenen Unzufriedenheit der Leute, mit dem was sie in ihrem Leben erreicht haben oder erreichen können.“

Die Befähigung, und die Erlaubnis ein Triebfahrzeug im Nahverkehr zu führen hat Leo nach acht Monaten Ausbildung erhalten.

Lebenslauf
Leo
Geboren 1988 in Heidelberg, Deutschland.
2008 Abitur am St. Raphael-Gymnasium in Heidelberg.
2008 Beginn der Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel.
2010 Ausbildungsschluss und Umzug nach Karlsruhe.
2013 Triebfahrzeugführer-Ausbildung.

 

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