ZIRKUS I

BALLETT IN SECHS BILDERN

NACH FREDERICO FELLINI UND TULLIO PINELLI

Choreografie  Mario Pistoni / Probenleitung Guido Pistoni
Musik Nino Rota / Musikalische Leitung Myron Romanul
Bühnenbild, Kostüme Philippe Miesch
Beleuchtung Maryse Gautier

Ballett Opéra national du Rhin
Orchestre philharmonique de Strasbourg
Casa Ricordi Milano

Uraufgeführt im Teatro alla Scala, Mailand

Diesmal, in der Hand von Philippe Miesch (Studium Architektur, und Szenograph in Straßburg), sollen Bühnenbild und Aussagekraft leuchtender Augen, einer Gelsomina, eins werden. Immer dann wenn Euphorie und Begeisterung das Erzählbarometer zum Höhepunkt treiben. Die Stimmung Gelsominas ist der Leitfaden bis zum Schluss der Erzählung, die mit ihrem Tod endet. Nach einem armen und enttäuschten Leben, jedoch nicht ohne Hoffnung und Poesie.

Die weltberühmte Geschichte Das Lied der Straße von Tullio Pinelli (1908-2009; Schriftsteller und Drehbuchautor), verfilmt von Federico Fellini (1920-93; Filmemacher; La Strada-La Dolce Vita-Stadt der Frauen), mit Musik von Nino Rota (1911-79; Komponist ); wurde von Mario Pistoni (geb.1932;Tänzer und Choreograph) 1966 als Ballett inszeniert. Verwendet werden die Tugenden dieser vier Herren, mit viel Gespür für Liebe und Poesie. Damals eine gelungene Ballettinszenierung, wurde sie jetzt von Guido Pistoni (geb. 1959; Tanzstudium-Solist seit 1984), Ballettmeister und Neffe von Mario Pistoni, mit den 33 Tänzerinnen und Tänzern des Straßburger Ensembles einstudiert.

Damit zeichnet sich das Werk Mario Pistonis als unsterblich, neben seinen Künstlerkollegen Pinelli, Fellini und Rota. 1989, in Verona, tanzte Guido Pistoni in La Strada seines Onkels; heute choreographiert er seine Werke in Italien und Frankreich. Die Zusammenarbeit mit dem Straßburger Ballett beschreibt er als angenehm:

Der Körper erzählt etwas und dahingehend lasse ich die Tänzer arbeiten. Sie müssen die Bewegungen lernen und mit ihrem Körper Emotionen auslösen.

Es zeigt sich die Performance der Ballettgruppe, mit verschiedenen Choreographen und Ballettmeistern zu arbeiten. Das spricht für die Offenheit und Individualität der Tänzerinnen und Tänzer. Die Rollenbesetzungen: Gelsomina (Stéphanie Madec-Van Hoorde ), Zampano (Alain Trividic), Matto (Alexandre Van Hoorde), werden der gestellten Aufgabe des Ballettmeisters und der Poesie der Geschichte gerecht. Hin und wieder, im Erzählkontext, die tragischen Schatten auf der Bühne zu Sternschnuppen werden, aufglühen und erlöschen.

Der nicht einfache Wunsch einer Ballettkulisse La Strada, hinsichtlich des Erfolgs der Filmkulisse, ist ein gelungenes Meisterwerk von Philippe Miesch. Nicht ohne Maryse Gautier (Lichtkreationen-u. Dynamik); sie ist verantwortlich für die Bühnenbeleuchtung. Beiden gelingt das Zusammenspiel von Glück und Enttäuschung, wie in einer „vergoldeten Puderdose“, auf die Bühne zu bringen.

Im Wechsel reagiert die Bühnenbeleuchtung auf jede Freude und Enttäuschung Gelsominas.

Der Ballettfestakt wird durch das Philharmonie Orchester Straßburg begleitet; unter der Leitung von Myron Romanul (geb. in Baltimore; dirigierte 2012/13 die Straßburger Philharmonie; heuteOrchesterchef des Münchner Nationaltheaters) welches dem Anlass zusätzlich Würde schenkt.

Sechs Leitbilder

Die Trennung von der Familie. Gelsomina wird von Zampano, einem Straßenkünstler und fahrenden Gaukler gekauft.

Eine fröhliche Hochzeitsfeier. Gelsomina und Zampano unterhalten die Hochzeitsgäste mit Kunststücken. Am Ende der Feier lernt Zampano ein anderes Mädchen kennen; sie verlassen gemeinsam das Fest. Gelsomina flüchtet mit drei Musikern.

Eine Prozession. Die Statue der Heiligen Jungfrau Maria wird getragen; mit anschließendem Festakt. Männer und Frauen tanzen. Gelsomina lernt Matto (Seiltänzer und Musiker) kennen. Daraufhin wird sie von anderen Männern belästigt; Zampano befreit sie.

Ein Zirkus kommt in die Stadt. Künstler, Clowns, Akrobaten treten auf. Unter ihnen Zampano und Matto. Gelsominas Zuneigung für Matto treibt Zampano in die Rivalität. Es kommt zum Kampf, und Zampano ins Gefängnis. Gelsomina flieht mit Matto. Nach der Entlassung holt Zampano Gelsomina zurück.

Zampano und Gelsomina werden älter und ärmer. Zampano überredet Gelsomina gemeinsam ein goldenes Kreuz aus einem Kloster zu rauben. Matto taucht auf. Es kommt zum Streit. Matto stirbt.

Nach Mattos Tod zerbricht Gelsominas Seele. Sie wird unheilbar krank. Zampano verlässt sie. Gelsomina stirbt. Als Zampano von ihrem Tod erfährt, fällt er in einen tiefen Schock und erkennt, dass sein Leben eine Niederlage ist.

Der Film und die Choreographie haben eins gemeinsam, sie erzählen von einer Welt, berührt von Armut und Gewalt. Es werden Auswege gesucht: Anmutiges Verweilen und Fröhlichkeit. Die Choreographie stellt im Vergleich zum Film die scheinbare Fröhlichkeit, die Poesie, in den Mittelpunkt; der Film jedoch die Realität und Armut. Der schwarz-weiß Effekt ist in der Ballettaufführung kaum wahrnehmbar. Wäre er nicht der Kenntnis des Films zu verdanken. Die scheinbare Freude zieht sich über die ganze Aufführung und filtert Traurigkeit, Leid, Gewalt und Übel. Übrig bleiben Parameter der Ästhetik und bewusst gesteuerte Ideale, Emotionen, die das Gemüt berühren.

Die Berührungsängste Zampanos verwandeln sich in Emotionen, die vom Mensch erzählen. Von Gelsominas Liebe zu Zampano und der Welt. Die Ballettgruppe schafft das tänzerisch mit viel Geschicklichkeit, Verwandlungskunst, Schnelligkeit, Herz und Schmerz.

Zuletzt, ist Gelsominas realistischer Tod der Übergang ins Heldentum: in den Mythos Leben.

Tänzerische Hochachtung gebührt den Solisten Stéphanie Madec-Van Hoorde, Alain Trividic, Alexandre Van Hoorde, und der Ballettgruppe. Die eineinviertel Stunden getanztes Schauspiel sind eine Hochleistung. Davon längere Passagen mit fast nur schwebenden Gestalten, besonders im Zirkusauftritt und in den Einzelsolos Gelsominas und Mattos, … im Kräftemessen mit Zampano, dem „Bösewicht“!

Photographie JL Tanghe

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