Photo: Im Saal RICHELIEU; COPYRIGHT – CHRISTOPHE RAYNAUD DE LAGE, COLL.COMÉDIE-FRANCAISE;

Die Dämonen, mal auf gegenwärtige Art und Weise

VON OSCAR HEINKE. Mit Die Dämonen, wagt sich die Comédie Française an eines der epochalen Meisterwerke Fiodor Dostoievskis. Guy Cassier inszeniert den von Erwin Mortier adaptierten und von Marie Hooghe ins Französische übersetzten Text auf gegenwärtigste Art und Weise.
Das Bühnenbild ist um 90° gedreht, an den linken und rechten Extremitäten der Bühne stehen jeweils zwei Wanddekore, die sich durch eine schnelle Drehung in den Zwischenszenen vom Innenraum zur Äußeren Fassade eines Gebäudes verwandeln lassen. Einen „traditionellen“ Hintergrund am vom Zuschauer entferntesten Ende der Bühne gibt es nicht. So spielen auch die Schausteller nicht gen Publikum, sondern in Richtung der seitlichen Dekore, hinter denen Kameras Liveaufnahmen der Schausteller drehen, welche auf drei Bildschirme oberhalb der Bühne projetziert, werden.

Photo: Im Saal Richelieu; Die Schauspieler HERVE PIERRE und DOMINIQUE BLANC; COPYRIGHT – CHRISTOPHE RAYNAUD DE LAGE, COLL.COMÉDIE-FRANCAISE;

Raumfragmentierung, um das Versteckte ans Licht zu bringen

Guy Gassier fragmentiert auf der Bühne gekonnt die räumlichen Bezüge zwischen den Figuren des Stückes. So wendet sich der von Hervé Pierre gespielte Stépane Trofimovitch Verkhovenski in seinem Dialog nach rechts zur Kamera, und die von Dominique Blanc porträtierte Varvara Pétrovna Stavroguina nach links. Beide Figuren stehen mit mehreren Metern Abstand, und in verschiedene Richtungen sprechend, auf der Bühne, und führen einen gemeinsamen Dialog. Auf dem Triptychon oberhalb der Bühne aber, scheinen sie Auge in Auge miteinander zu sprechen.
Diese Besonderheit der Inszenierung verhilft es Guy Cassier,, die mehrschichtigen psychologischen Analysen, welche das Werk eines Dostoievskis kennzeichnen, im Raum darzustellen. Auf dem Triptychon wird der für jeden sichtbare Aspekt einer Beziehung und eines Verhaltens dargestellt, das Oberflächliche also, welches jeder der Figuren des Stückes wahrnimmt. Auf der Bühne aber, kann Guy Cassier dank diesemsm Prozedere mit der räumlichen Positionierung der Figuren spielen und deren Sinnes- und Gefühlswelt visuell darstellen. Es ist eine allzu elegante Art dem Unsichtbaren, welches Dostoievski durch Wort an die Oberfläche führt, in einer Theaterinszenierung zu veranschaulichen.

Nabokov bemängelte, dass in Dostoievskis Werk „der natürliche Hintergrund und alle Dinge, die für die Sinneswahrnehmung von Bedeutung sind, kaum vorhanden sind. Was es an Landschaft gibt, ist eine Landschaft der Ideen, eine moralische Landschaft. (…) Dostojewski charakterisiert seine Personen durch die Situation, durch ethische Fragen, durch ihre psychologischen Reaktionen, durch ihre inneren Regungen.“ (Lectures on Russian Literature, von Vladimir Nabokov, Harcourt Brace Jovanovich Inc./Bruccoli Clark.)
Genau diese Essenz Dostoievskis bringt Cassier auf die Bühne. Diese moralische Landschaft, welche aus der Dissonanz des Sichtbaren, zwischen dem Triptychon und der Bühne, entsteht.

Photo: Im Saal Richelieu; Die Schauspieler Jennifer Decker und Stéphane Varupenne; COPYRIGHT – CHRISTOPHE RAYNAUD DE LAGE, COLL.COMÉDIE-FRANCAISE;

Ein Chorus gegen den Nihilismus

Doch die Inszenierung schafft es einen weiteren Topos des epochalen Werkes des russischen Schriftstellers im Theater umzusetzen: die Polyphonie.
Cassier beschreibt sie als „einen Chor, in dem jede Stimme ihre eigene, von den anderen unterschiedene Partiturzeilen hat.“ Die räumliche Fragmentierung der Bühne so wie die triptychonartige Projektionsfläche, sprich in Drei geteilt, führen dazu, Stimmen visuell zu isolieren und das polyphonische Ensemble in die Spitzte zu treiben.
Zum Ende des Stückes hin, verabschiedet sich Cassier mehr und mehr von der strikten Fragmentierung des Bühnenraumes und lässt Figuren direkt miteinander Interagieren. In der letzten Szene treibt er die Idee eines polyphonischen Chors an die Spitze, mit dem gleichzeitigen Suizid dreier Protagonisten deren letzte Worte ineinander führen, deren Gesichter auf der Leinwand zu Einem verschmelzen. Das im Werke Dostoievskis unumgängliche Leitmotiv des Pathetischen kommt ins Rampenlicht. Drei gegensätzliche Figuren, , mit gegensätzlichen Weltansichten und grundverschiedenen etischen Postulaten, , erwartet ein und dasselbe Schicksal. Nichts wurde erreicht, von keinem unter Ihnen. Dostoievskis satirische Kritik am russischen Nihilismus, welche im Herzen des Werkes steckt, und durch das gesamte Stück hinweg subtil angespielt wird, wird hier dem Zuschauer donnernd ins Gesicht geworfen.

Les Démons / DIE DÄMONEN von Fiodor Dostoïevski
Adaptation Erwin Mortier; Übersetzung Marie Hooghe
Regie Guy Cassiers
Mit der Truppe der Comédie-Française Paris:
Alexandre Pavloff, Christian Gonon, Julie Sicard, Serge Bagdassarian, Hervé Pierre, Stéphane Varupenne, Suliane Brahim, Jérémy Lopez, Christophe Montenez, Dominique Blanc, Jennifer Decker, Clément Bresson et Claïna Clavaron
Und den Schauspielern der Akademie der Comédie-Française:
Vianney Arcel, Robin Azéma, Jérémy Berthoud, Héloïse Cholley, Fanny Jouffroy, Emma Laristan

FOLGEPRÄSENTATIONEN in PARIS: seit 22. SEPTEMBER 2021 bis 16. JANUAR 2022.

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