ANBETUNG

20 – 23 – 11 – 2014
OPERA DU RHIN STRASBOURG

Choreographie – Deborah Colker
Choreographie Assistenz –  Jacqueline Motta & José Alvarez

Musik – Berna Ceppas
Bühnenbild –  Cringo Cardia
Kostüme –  Alexandre Herchcovitch
Beleuchtung –  Jorginho de Carvalho
Ballett –  Opéra National du Rhin

Création – Companhia de Danςa Deborah Colker
Leitung –  João Elias

NÓ – LIEBESKNOTEN – EROTIK IN ZWEI AKTE

Vielleicht fehlen Titel einzelner Szenen? Das ist nicht notwendig! Es wäre sinnlos die zwei Akte in Szenen zu unterteilen. Es wäre ein Versuch, die Erotik umfassend zu beschreiben. Ihr ein Infinitum zuzuordnen, das so nicht existiert. Ihr einen Gedanken der Ewigkeit abzuschmeicheln, den sie nicht hat. Ihr ein Lächeln zu würdigen, das ihrer Ernsthaftigkeit widerspräche. Ihr die Hand entgegenzustrecken, obwohl Traum und Illusion mit ihrem windigen Schleier spielen; ihres Atems hörbar, in rhythmischer Vibration, mit dem einzigen Ziel: zu leben.

Die Erotik lässt sich nicht definieren. Sie ist allgegenwärtig und wirkt in sich geschlossen wie die Elemente Wasser und Luft. Sie ist Teil des Universums. Ein unaufhaltsamer Energiefluss; zu Leben erweckt im Körper. Gesteuert mental; transzendiert, sublimiert. Der Versuch einer, mehrerer Handhabungen; Tendenzen, Strömungen; gelebte Energie individuell und kollektiv. Eine Beschwörung und Entfesselung innerer Ekstase. Einzig: Bewegungen im Licht. Experiment der Bewegung und der Körper. Bewegungen im Strom der Zeit.


IM GLASKUBUS I

Deborah Colker teilt die Choreographie in zwei Akte, zwei Annäherungen, an das, was Erotik ist. Sehr raffiniert der erste Akt, mit minimaler Animalität. Ohne Zwang, diskret, abstrakt gehalten. Denn der Körper steht im Mittelpunkt. Lenkt ab von denkbarer Untergebenheit / Inferiorität. Minder sein. Zeigt seine Stärke. So ist der erste Akt den Kordeln zugeschrieben.

Deborah Colker nennt es Knoten (NÓ); hier „Liebesknoten“. Ein sehr gewagter Ausdruck, der der Definition der Liebe und der Erotik des Stückes schmeichelt. Ein romantischer Ausdruck, diese Szene aber nicht romantisch ist. Sondern es geht um das Spiel mit Gefühlen auf höchster Ebene. Wer hier spielt? Es ist die Seele. Die Gesamtseele der Welt. Was das ist?  Eine Seele? Es ist eine Leiste, die betreten wird; und eine neue Welt öffnet sich. Dort gibt es keine Nichtbewegung; alles ist Suchen und Finden, im Rotationsradius des Körpers. Der Körper wird jedoch geführt durch mentale Begriffe wie Ektase und Hingabe; die einen Zustand der Stille ausdrücken, den es in der Bewegung nicht gibt. So ist die Vibration und der Rhythmus auf der Bühne Ausdruck des Suchens und der Konzentration der Choreographin und ihres Künstlerteams. Minütliche, sekündliche Recherche neuer Formen erlebter Tanzekstase, im Spiel mit langen fallenden Kordeln unterschiedlicher Dicke. Erinnert an die Taue und Kordeln eines Segelschiffs – ankern und Anker heben; spannen und lösen; halten und loslassen.


HINGABE

Das Betreten der Leiste, des Tritts, ist die Ansicht eines abstrakten Baums (Zusammengebundene Kordeln), um den herum das Spiel stattfindet. Nur unabsichtlich sei hier im Text der „Lebensbaum“ aus dem Garten Eden angesprochen, der angeblich Leben spendet, es aber verboten ist von seinen Früchten zu essen; „wie immer“ in sich widersprüchlich ist das Heilige und wird erst erfahren wenn es betreten wird.


UNTERWERFUNG

Entfalten dann die Kordeln Poesie, beim geöffneten Baum. Das Objekt der Begierde, löst sich aus der Anbetungsstarre (Vergöttlichung), wird Produkt des Liebesspiels; männlich-männlich; weiblich-weiblich; männlich-weiblich; in dominaten, ästhetischen Posen; filtriert in der Symmetrie des Gedankens der Choreographin; einzigartiger Bühnenpräsenz: Perfektion und Figurenvielfalt; Körperbeherrschung und Harmonie der Bilderfolge; und mit extremer Echtheit in der Fülle des Spiels.


IM GLASKUBUS II

Das Ausmaß zeigt sich im zweiten Akt. Wobei auch erster Akt sachliches Vorspiel sein kann. Das zärtliche Aufblättern der Blüte, ohne zu wissen was sich darin verbirgt. Die Blumen des Bösen verhalten sich still (Anbetung) sind jedoch gefräßig (Leidenschaft).

So kann der zweite Akt eine Entartung dessen sein, was der erste Akt vorbereitet. Die Intensivierung der Leidenschaft, die Verschmelzung zweier Seelen in der Liebe. Intensiverer Rhythmus zeigt sich in der Streuung der Rumbatöne; Samba, Forro, Lambada, Bossa nova; hier heißer Rhythmus, den Strömungen des Bluts entsprechend schäumend; pulsierend, sorgloses Begehren.

 


IM GLASKUBUS III

Mit Absicht spricht Deborah Colker das Rotlichtmilieu an; der einzige Ort an dem über Erotik sorglos gesprochen wird. Genauso sorglos und unaufhaltsam wird getanzt. Mit extrem raffinierter Beinarbeit der Tänzerinnen; in schwarzen Spitzenschuhen, zu rot-schwarzen körpernahen Tenues und Rock präsentieren sich Tänzerinnen und Tänzer in einem roten Glaskubus. Der Tanz im Kubus beginnt diskret; wiegend und wippend den Körper; aus der Hüfte heraus, coole schlaksige gegenseitige Anmache; wer in Amsterdam die Vitrinen schon mal gesehen hat, weiß um das Geheimnis, dass der Kubus birgt. Er ist Spielraum einer elegant egozentrisch süffisanten Anmache, die die Figuren im rhythmischen Step by Step sich annähern lässt; die Euphorie des gegenseitigen Begehrens hochschaukelnd ins Unendliche; Hingabe und Begehren im Unerschöpflichen enden, im sublimen Tanz, der wahrhaftiger Ausdruck dieser rhythmischen Musik ist. Durch diese Konfrontation des körperlichen Ausdrucks zur Tiefe der Klänge, entsteht die recherchierte Harmonie der Choreographie mit der Musik; verbindet sich zu einer Ekstase des Hörens und des Sehens. Die etwas kühlere pragmatische Seite der Erotik wird ersetzt durch reges Treiben in der « Schachtel ». Beim Zuschauen vollendet sich’s, dass obwohl dieses fantastische Treiben nach einer einstündigen Spielzeit endet, die Vibration auf der Bühne, der Rhythmus, die Musik, der Tanz, die Bewegung, in Fleisch und Blut übergehen, als ein unverzichtbarer Teil unser Selbst.

 

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