LEBENSFREUDE

Eine Schauspielrolle? Oder ein Lebensinhalt? Die zwei Assoziationen sind schwerlich auseinanderzuhalten. Die Bühne zeigt dem Anschein nach, ein freundliches Gesicht – unzählige Vasen mit Blumen stehen dort. Beim genaueren Hinsehen, sitzt ein altes Paar, Frau und Mann, auf einer Bank. Die Vorstellung hat noch nicht begonnen, es ist genügend Zeit die offene Bühne wahrzunehmen. In der Mitte steht ein Krankenbett; eine junge Frau liegt im Bett. Sie trägt ein weißes Nachthemd. Mit den langen Haaren sieht sie recht hübsch aus. Der Ort ist ein Patientenzimmer im Krankenhaus. Eugenia, die Schauspielerin, beginnt zu sprechen. Es ist ein dramatischer Prolog über diverse Wahrnehmungen; Wahnvorstellungen; Halluzinationen; „theatereigene Gestalten“, Dämonen, Engel, Himmel, Hölle, Berge, Täler. Geballte Emotionen und Nervosität machen sich beim Zuschauen breit – Erwartungen kommen auf!  Jedoch, der „Prolog im Himmel“ endet mit den Rufen nach der Mutter: „Mama?“. Die darauffolgende 1 Stunde und 50 Minuten erzählen nichts weiter über Sein oder Nichtsein, Himmel oder Hölle, sondern nur über die Beziehung der Schauspielerin zu ihren Mitmenschen, insbesondere ihrer Familie. Es stellt sich schnell heraus, dass die Geschichte darüber berichtet; und Eugenia ihre Familie und Mitmenschen besonders im Herzen trägt. „Mama! Bist du da?“ ruft sie in den Raum. Dann beginnt eine lange Erzählkette, über Episoden aus Eugenias‘ Privatleben. Das Krankenzimmer ist die Kulisse für die Retrospektive über ihr Leben.

Nacheinander treten auf, ihre Eltern, Vater(Eugeni) und Mutter(Galina); Ehemann(Pavel); Schwester(Ksenia) und Schwager(Igor); Tochter(Yulia) und Sohn(Dimitri); Krankenpfleger(Ivan); die Schauspielkollegen(Alexander, Sergeui, Artem, Svetlana, und Roman). Die Reihenfolge der Krankenbesuche lässt erkennen: Eugenia wird bald sterben. Sie gibt sich gelassen und furchtlos vor ihrer Familie und Arbeitskollegen. Ist es aber nicht. „Die Schmerzen sind stark“, sagt sie dem Krankpfleger(Ivan); ihre Endphase ist diagnostiziert. In ihrer letzten privaten Rolle, spielt Eugenia, eine Frau, die über ihre Liebe zum Theater, das sie für sich bevorzugte, auch das Leben liebt. Die Lebensliebe hat sie für das Theater stark gemacht und aus ihr ist eine beliebte russische Schauspielerin geworden.

In diesem Lebenswahn,

ist eine wichtige Ansprechpartnerin ihre Schwester(Ksenia); die immer wieder versuchte Eugenia zu „missionieren“ für ein bürgerliches Leben in aufopfernder Pflichterfüllung am Arbeitsplatz. Die Schwester(Ksenia) musste sich lange zu einer verantwortungsbewussten Position hocharbeiten; sie hält Eugenia fehlendes Verantwortungsbewusstsein vor.

Aber Eugenia duldet den Vorwurf nicht und weist diesen zurück. Ihre Vorliebe für die Schönheit und Kunst haben aus ihr die Person gemacht, die vom Publikum geliebt wird: stark und ehrlich in den Gefühlen. Sie ist auf der Bühne die Echtheit der Gefühle, so wie im Leben, unvermeidbar dominant. Obwohl gegensätzlich in ihrer Lebensaufgabe, sind es die Gefühle, die die Schwestern verbinden.

Dieser Gegensatz wird in jeder Beziehung Eugenias‘ von neuem überwunden, ob beim Vater, Mutter, Schwester Ehemann, Kinder. Das bringt sie dem Leben immer näher; mit der Erkenntnis, dass die Gefühle im Leben das Wichtigste sind. Besonders gelungen dargestellt in der hysterischen, selbstquälerischen Darstellung der Liebesbeziehung ihres Ehemanns(Pavel). Sie hat ihn von der Straße aufgelesen und gerettet; jedoch bleibt er ein unverbesserlicher Alkoholiker. Ihre Kinder beklagen sich über zu wenig erzieherische Hingabe. Beides mal ist es die Überwindung der Distanz vom Besonderen(Theater) zum Einfachen(Leben), die die Person Eugenia ausmacht. Diese Gefühle erlebt und vermittelt sie.

Auf der Seite des Besonderen, schafft sie es kaum sich von den Besuchen ihrer Künstlerkollegen(Alexander, Sergeui, Artem, Svetlana, Roman) zu lösen. Vermeintlich ist zu hören, möchte … so gern noch verweilen, in dieser gar so schönen Welt. Die Trennung vom Theater fällt ihr schwer. Jene Welt, die ihr gelernt hat, Gefühle für wahr zu nehmen.

Umso einfacher ist das Gespräch mit dem Pfarrer. Ihre letzte Stunde naht und sie ist sich sicher: Ihre Gefühle am rechten Platz zu haben; nichts ausgelassen, vernachlässigt oder hochmütig übergangen zu haben. Edel und gut, hat sie die schönen Künste auf das Leben angewendet und aus dem Leben geschöpft, um das Besondere zu erkennen. Am Ende des Stücks, kann der allzu « erschreckende Epilog“ des Krankenpflegers(Ivan), über das Wenige was vom Leben übrig bleibt, sie nicht mehr erschüttern. Ist nur noch eine „kleine Nachtmusik“ für ihre bevorstehende Reise.

Im TNS Théâtre National Strasbourg vom 24 Januar bis 4 Februar 2018.

Text, Regie & Bühnenbild Pascal Rambert. Und Pauline Roussille; Yves Godin; Anaïs Romand.

Schauspieler: Marina Hands(Eugenia); Audrey Bonnet(Ksenia); Ruth Nüesch(Galina); Emmanuel Cuchet(Eugeni); Jakob Öhrman(Pavel); Elmer Bäck(Igor); Yuming Hey(Ivan); Luc Bataïni(Alexander); Jean Guizerix(Sergeui); Rasmus Slätis(Stanislav); Sifan Shao(Artem); Laetitia Somé(Svetlana); Hayat Amiri(Roman); Lyna Khoudri(Yulia); Anas Abidar, Nathan Aznar u. Samuel Kirchner(Dimitri).

androgyne.eu berichtete bereits 2015 über Pascal Rambert, Das Ende der Liebe,  im TNS 15 bis 27 September 2015.

 

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