PORTRAIT 3/3***1/3 DIE COMÉDIE-FRANCAISE PARIS***2/3 J.W.v. GOETHE & MEPHISTO***3/3 ANNA CERVINKA

300 Jahre ist eine lange Zeit, die nicht einem kurzen Leben entsprechen. Das zeigt, wie unwichtig allein ein Menschenleben ist. Dennoch wirkt der Mensch nicht allein; immer zusammen mit anderen. Ob in den Jahren 1680 oder 2018, das Leben und die Politik haben sich schon lange verändert; die alten Strukturen existieren. Umso wichtiger ist ein Blick auf Tradition zu werfen, wie diese heute arbeitet und wirkt. Die Comédie-Française ist ein Pariser Theater mit Tradition, in dem auch deutsche Autoren gespielt werden. Das Theater lebt durch seine Truppe(Portrait1), Aufführungen(Portrait2), und Schauspieler(Portrait3).

Portrait 1/3

ÜBER DIE COMÉDIE-FRANCAISE PARIS

Das Haus hat eine sehr strikte Führungsweise; dies dient seinem Erhalt und der Selektion von Exzellenz. Nur dem König, seiner Exzellenz, blieb vorbehalten, auch Exzellenz in der Kunst zu bestimmen. Das ist bis heute der Wunsch der Comédie-Française.

DAS HAUS MOLIÈRE.

Die Comédie-Française wird auch gebräuchlicher weise das Haus Molière genannt. Es wurde gegründet 1680 aus zwei Schauspieltruppen; eine davon war die Gruppe des Dramaturgen Molière, der 8 Jahre zuvor starb. Die Truppe erhält sein Erbe und Werk seit über 300 Jahren. Schriftsteller, Schauspieler, Truppenchef, Molière bleibt ein Mann des Theaters und der aktuellen Kunst seiner Zeit.

Die Schauspieler feiern Molière jedes Jahr am 15. Januar(Geburtstag,Tauftag), als Wertzeichnung dieses Kulturguts. Molière ist gleichermaßen die Idealfigur eines Künstlers und Titelgeber des Hauses. Seit ihrer Gründung ist die Comédie-Française eine Theaterfabrik, die immer wieder von neuem erstaunt und sich ausgesprochen kreativ zeigt.

Diese Tatsache beruht auf vier Fundamente:

1 DIE TRUPPE

Einzigartige Referenz, ist sie die am längsten aktive Truppe auf der Welt. Seit 1680, auf Anordnung des Königs und der Vereinigung der Truppen, Hôtel de Bourgogne und Hôtel de Guénégaud(Molière‘ Schauspieltruppe), hat die Comédie-Française ihre ursprüngliche Struktur der Société des Comédiens Français(Französische Schauspieler-Gesellschaft). Bis heute zählte sie 533 Schauspieler, sog. Sociétaires(Gesellschafter).

2 TRADITION WEITERGEBEN

In Frankreich wird die Truppe „Athleten der Gefühle(Gefühlsathleten)“ genannt, die sich an Anspruch und Professionalismus orientiert; vor allem aber an gemeinsamen Werten. Es ist eine Schule der Weitergabe von Exzellenz an das Schauspiel-Kollektiv. Das Kollektiv hat die Devise: Simul et Singulis(Zusammen und Einzigartig) und bildet ein Fundament der Kultur des Hauses Molière.

Die Comédie-Française einerseits, und ihre Truppe sind Bindeglieder; sie sind ein Ort Kreativen Schaffens, Reifens und Wachsens; eine Bildungsstätte der Sprache.

3 DAS REPERTOIRE

Es bestimmt alle Werke, die im Théâtre Richelieu(die Hauptbühne) gespielt werden. Deshalb ist das Repertoire keine Bibliothek und auch nicht die Nationale Anerkennung eines Schauspielers, sondern die Vermittlung französischer und ausländischer Dramaturgen. Heute sind im Repertoire 3000 Stücke, unterschiedlicher Epochen und Theaterstile. Das Repertoire ist ein Ort des Gedenkens an Theaterkunst, immer in Bewegung; sich ergänzend um neue Stücke und Schreibstile. Zum Beispiel, schlägt der Verwalter einen Theatertext vor und ein Komitee(Comitée de Lecture) entscheidet über die Aufnahme eines Werkes in das Repertoire.

4 THEATERSTÜCKE IM WECHSEL

Theaterstücke werden in der Comédie-Française im Saal Richelieu abwechselnd gespielt. Das bietet die Möglichkeit mehrere Stücke in einem Theater anzuschauen; z.B. fünf Stücke in einer Woche. Diese Abfolge bezieht sich auch auf die Schauspieler. Die Truppe spielt bis zu acht Stücke gleichzeitig auf drei Bühnen(dazu kommen Stücke auf Tournee); mehrere Schauspieler werden verteilt auf eine Rolle. Die Schauspieler verbleiben im Doppel. Sechzig Schauspieler der Truppe arbeiten gleichzeitig mit mehreren, klassischen und zeitgenössischen Texten, Prosa und Vers, Kunstrichtungen, Inszenierungen, Interpretationen.

Die TRUPPE UND IHR GRAD DER ZUGEHÖRIGKEIT.

Seit der Zusammenführung der zwei Schauspieltruppen, will das Theater das anbieten, was es an Fülle und Veränderung im Überfluss hat. Die Comédie-Française ist insbesondere das Kollektiv; eine lebendige Einheit von verbundenen Talenten. Wenn der Vorhang aufgeht, steht nicht die Individualität zu Gesicht, sondern die Truppe. Innerhalb der Truppe gibt es eine Staffelung der Zugehörigkeit, die ab Neueintritt determiniert ist.

Das ist eine Besonderheit des Hauses Molière:

PENSIONNAIRE (…)

Wenn ein Schauspieler neu dazu kommt, wird dieser vom Verwalter der Comédie-Française in den Grad der Pensionnaire eingestellt. Nach einem Jahr, kann er vorgeschlagen werden für den nächst höheren Grad der Sociétaire(Gesellschafter). Eintrittsstufe ist immer der Pensionnaire. Eric Ruf, der Verwalter, drückt es klar aus „die Älteren bewahren und halten die inneren Werte der Comédie- Française zusammen. Die Jungen stellen uns in Frage; sie bringen eine Pluralität an Performance und Wissen aus vielen unterschiedlichen neuen Studiengängen mit.“ Eric Ruf hebt hervor, dass die Gewichtung in mehreren Stücken gleichzeitig zu spielen, insbesondere bei Neueinstellungen ausschlaggebend ist.

SOCIÉTAIRE (GESELLSCHAFTER)

Nach einem Jahr, und auf Vorschlag des Verwaltungskomitee, kann ein Pensionnaire Sociétaire(Gesellschafter) werden. Dann und durch Beschluss des Kulturministeriums(Ministère de la Culture) ist er Mitglied der Société des Comédiens Français.

SOCIÉTAIRE HONORAIRE (…)

Wenn ein Gesellschafter die Comédie-Française verlässt, nach einer Mindestzeit von 20 Jahren, kann er auf Vorschlag des Verwalters und mit Bestätigung des Verwaltungskomitees, zum Sociétaire Honoraire(Ehrengesellschafter) ernannt werden. Diese Qualität symbolisiert die Anerkennung seiner Künstlerkarriere und erlaubt ihm gelegentlich in der Truppe zu spielen.

TRUPPENÄLTESTE(R)

Ist nicht der älteste Schauspieler, sondern der GesellschafterIn seit Eintritt am längsten in der Truppe. Mitglied im Verwaltungsrat, ist er eine Garantie der Werte, Prinzipien und Gebräuche der Comédie- Française, und betreut die Truppe. Im Falle der Verhinderung(Ferien oder Krankheit) des Verwalters, ist er verantwortlich für die künstlerische Leitung des Hauses.

Portrait 2/3

MEPHISTO & FAUST

Seit nicht allzu langer Zeit werden deutsche Autoren an der Comédie-Française gespielt; auch der unzweifelbar exzellente J.W.v.Goethe hatte kein Leichtes. Den Deutschen bedeutendster Autor, ist er kein einfacher Zeitvertreib für die Franzosen; jedoch verstehen die sich sehr geschickt in Adaptationen(Abwandlungen); so das Faustschauspiel, vom 21.3.-06.05.2018, von Valentine Losseau und Raphaël Navarro in der Comédie-Française.

In der Rolle des Faust: der Schauspieler Laurent NATRELLA. Theatre du Vieux Colombier; 23.03.2018. Photo : Vincent PONTET.

Über den Inhalt des Schauspiel. [1]

Im Himmel, Gott und Mephisto, schwören über die Seele des Doktor Faust.

Allein in seinem Büro, in der Hoffnung, die tiefsten Mysterien des Universums und der Natur, zu entdecken, widmet sich Faust der Magie. Zurückgeworfen durch den irdischen Geist, ermüdet durch das Denken Wagners(sein Assistent), ist er der Verzweiflung nahe; und geneigt zum Selbstmord. Aber eine unheimliche Macht hält ihn zurück. Mephisto erscheint in Form eines Hundes, dann als Mensch, und schließt mit ihm den teuflischen Pakt.

So beginnt die Reise Faust‘ in die Unterwelt. Er entdeckt das Vergnügen des Betrunken seins in Auerbachs Keller, den er angewidert verlässt nach einem angezettelten Streit durch Mephisto. Dann begegnet er einer Hexe, die ihm einen Verjüngungstrunk zubereitet; und im Spiegel, das Bild der Margarete zeigt, in die er sich verliebt und verführt. Folgt Faust‘ körperliches Spiel mit Margarete, die er initiiert entgegen ihren Willen. Um Faust‘ raue Tat, in Vergessenheit zu setzen, reitet Mephisto mit ihm durch die Walpurgisnacht, durch den Hexensabbat. Auch das widerspricht Faust; er zieht sich zurück in die Einsamkeit; findet dort seinen Frieden in der Anbetung der Natur. Dennoch, lässt Mephisto ihn nicht in Ruhe; erzählt ihm Margaretes Unglück, die schwanger und alleine das Kind zur Welt gebracht hat. Dann verstoßen durch ihre Umwelt, ihr Kind tötet; sie wird wegen Kindestötung verurteilt und hingerichtet. Faust‘ Gewissen meldet sich, er verlangt von Mephisto ihn zu Margaretes Versteck zu führen. Faust schafft es nicht Margarete zur Vernunft zu überreden. Sie fühlt sich schuldig und akzeptiert ihre Verurteilung. Faust begibt sich zu Mephisto. Gott erkennt den Sieg des Dämons und rettet die Seele Margaretes. Faust versteht den Pakt, in den er verwickelt war.

Über den Autor. [2]

Johann Wolfgang von Goethe(1749-1832) verwirklicht 1773 die ersten Skizzen zu Faust; die Geschichte wird 1808 veröffentlicht. 1819 werden in Berlin einige der Szenen gespielt; und durch das Buch De l’Allemagne von Madame de Staël in Frankreich eingeführt. Die Übersetzung von Gérard de Nerval von 1828 erneuert das Interesse an Goethe. Goethe stirbt 1832 in Weimar, nachdem er Faust II fertigstellte.

Valentine Losseau und Raphaël Navarro. [3]

Valentine Losseau(Magierin, Dramaturgin, Anthropologin) und Raphaël Navarro(Magier und Regisseur) gründen 2002 mit Clément Débailleul die Bewegung der Neuen Magie. Sie arbeiten im Laboratoire d’expérimentation magique im Centre national des arts du cirque. Die Compagnie 14:20, 2000 gegründet von Raphaël Navarro und Clément Debailleul, hat heute 30 Mitglieder. Seit 2010, sind mehrere Festivals und Anlässe der Neuen Magie und ihrem Repertoire gewidmet, in Paris, Zagreb, London, Tokyo, New York. Valentine Losseau und Raphaël Navarro kreieren mit Clément Debailleul Vibrationsversion scène und Wade in the Water; mit Étienne Saglio Le Soir des monstres und Les Limbes ; mit Yann Frisch Le Syndrome de Cassandre. Seit 2013 sind sie Artistes associés(Eine Künstlergemeinschaft) im Ensatt; und seit 2017 im Théâtre Rond-Point (Festival der Neuen Magie 2018) in Paris. Valentine Losseau ist Kommissarin mit Tatyana Franck der Austellung Hybrids: the body as imaginary in Mexiko. Raphaël Navarro ist der Ehrengast auf der Internationalen Biennale des Arts du Cirque 2019 in Marseille. Im März 2019, werden Valentine Losseau(Dramaturgie), Laurence Équilbey(Musikalische Leitung), Raphaël Navarro, Clément Debailleul die Inszenierung Der Freischütz von Weber unterzeichnen.

Über die Magie als Sprache. [4]

Die Geschichte Faust hat unendlich viele faszinierende Einzelheiten; ist eine Geschichte einer anderen Welt, vielleicht Magie?, eine Welt voller Symbole! Die magischen Begegnungen in diesem Stück sind zahlreich; ohne zu wissen wie, woher und wann, geschehen wichtige Dinge, die entscheidend sind, aber katastrophal: eine lebensbedrohliche Wirkung haben. Ob es Zaubergetränke oder aufklärerische Sonntagsspaziergänge sind; ekstatische Effekte scheinen schon zu Goethes Zeit genauso beliebt gewesen zu sein wie heute. Das war der Anreiz für Valentine Losseau und Raphaël Navarro, sich mit J.W.v.Goethe und seinem „magischen Faust“ zu beschäftigen. Es ist eine Adaptation, die vorab eine etwas genauere Kenntnisnahme verlangte, in welcher Welt, die im Faust auftretenden Personenfiguren leben. Jedoch, beschäftigt sich die Inszenierung mehr mit der lebhaften Magie als mit der Poesie der Worte; und macht viel Unsichtbares sichtbar.

Über Mephisto, ein Meister der Illusion. [5]

In Goethes Geschichte, ist Mephisto ein Geist, der sich nicht zum Guten orientiert. Von der Truppe der Comédie-Française spielt Christian Hecq den Mephisto; er wird von Valentine Losseau und Raphaël Navarro auf besondere Weise initiiert und ausgestattet mit Kräften; dieses in den Monaten vor der Spielzeit des Stückes. Im Stückverlauf zeigt sich dann, dass dieses Wesen nicht viel Wissen besitzt, aber viel bewegen kann – vor allem Unheil. Das soll Mephisto als besonderen Illusionisten zeigen, der die Welt nicht durch seine menschliche Kraft verbessert sondern nur viele schöne Illusionen verkauft. Nachdem er Faust’ Seele an den lieben Gott verkauft, hat er keine andere Wahl, als den gelehrten(weisen) Doktor Faust ins Unheil zu stürzen; dieses mit Nachdruck.

Durch negative Beeinflussung, in Momenten der Unentschlossenheit und Ungewissheit, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Er verrichtet so allerlei Hexenwerk(Unsinn) durch Entschlossenheit und Aufmerksamkeit; ist ein Geselle, zu jedem Streich bereit. Umso schwieriger ist es ihm aus dem Weg zu gehen. Er ist unvermeidbar.

Über Fausts fantastische Reise. [6]

Insofern kreiert sich ein fantasiereiches Netz über die ursprünglich nicht einfache Geschichte. Das verändert den Blick auf die Geschehnisse. So werden viele Zauberkunststücke angewendet, die sich von der alltäglichen Spannung und dem Hochmut unterscheiden. Es bleiben vielleicht Täuschungen übrig, die den Faust auf eine Reise schicken – obwohl dieser vielleicht nie den Ort gewechselt hat. Neben aller optischen Täuschung – Faust‘ Reise eine Illusion bleibt. Dagegen wahrhaftig ist das Schicksal von Margarete. Eine Anregung zu dieser Arbeit, der optischen Täuschung und der Zauberei, basiert auf die Poesie und den Rhythmus der Worte des Textes. Einer Musik gleich, die verzaubern kann, ohne zu wissen warum. Einfach nur durch die Tatsache der Ablenkung.

Über die Narretei zum Vergnügen. [7]

Sicherlich ist Mephisto nicht Gott und umgekehrt. Nur, wer ist Mephisto? Und wer ist Gott? Im Faust ist Mephisto eher der Mensch, der den Schwächen unterliegt; und Gott, eine Maschine, die Rechtens machen will. Aber Maschinen und menschliche Schwäche passen nicht zusammen. Daher Katastrophen. Die menschliche Schwäche ist mit der Nichteinhaltung der Vernunft gekoppelt. Jedoch will er über seine Unvernunft siegen. Was ihm aber nicht gelingt, und auch der gelehrte Dr. Faust seiner eigenen Vernunft unterliegt. Das ist der Pakt(Der Mensch irrt so lang er strebt): der Mensch ist prädestiniert zur Unvernunft, nur Gott allein herrscht über die Vernunft. So soll und darf der Mensch, Spaß und Freude haben, die ihn am Leben erhalten. Derart ist die Inszenierung angereichert mit viel Humor: vielleicht eine Art moderner Sketch, der Faust‘ Niederlage nicht besser darstellen könnte; und die Schandtaten im Antlitz Gottes ihre Haltung und Ernsthaftigkeit bewahren.

Magie in der Comédie-Française. [8]

Die Schauspieler der Comédie-Française sind in gewisse Techniken der Illusionskunst eingelernt worden. Natürlich mit dem Auftrag der Geheimhaltung. Einen wichtigen Platz darin hat, die Verwendung der Marionettenpuppen, deren hervorragende Aufgabe das Doppelspiel ist; der dem geheimen Charakter und der mysteriösen Atmosphäre dieses Spiels gerecht wird. Das Faust-Schaupiel ist eine gelungene Abwechslung im Theateralltag eines der wichtigsten Pariser Theater, der Comédie-Française.

Über die Comédie-Française und Frankreich als Lehrmeister neuer Adaptationen. [9]

Die Richtung des Sturm und Drang, 1770, als literarische Bewegung in Deutschland – war die Auswirkung auf die französische Tragödie der Revolution – belebte schnell die sich breitmachende Romantik in Europa am Anfang des 19. Jahrhundert. Aus den Begegnungen ergaben sich Entdeckungen in der Dramaturgie, und Neuheiten aus Theater-Adaptationen. In der Comédie- Française werden deutsche Theaterstücke seit Beginn des 18. Jahrhunderts gespielt – in freier Adaptation; ein Aufnahmerituell für fremdsprachige Stücke. So kam es in der Zeit von 1799-1826 zu vielen beliebten Adaptationen deutscher Stücke. Die Zwei Brüder von Mathias Weiss; Maria Stuart, Intrigue und Liebe von Schiller; Nathan der Weise von Lessing. Durch diese Untreue zahlreicher Adaptationen kam schlechtes Gewissen auf; und zu den Adaptationen gesellten sich Übersetzungen. Es wurde Kotzebue‘ Stück Misanthropie et repentir in einer Übersetzung von Gérard de Nerval gespielt. Der Franzose Gérard de Nerval übersetzte Werther und ist damit bekannt geworden. Dann übersetzte er 1828 Goethe‘ Faust in die Französische Sprache. Goethe war angetan, sein Faust wird aber erst 1999 in das Repertoire der Comédie-Française aufgenommen; der Autor J.W.v.Goethe aber bereits 1942 mit Iphigenie auf Tauris.

Dann erst ab 1963 kommen deutsche Stücke auf die französische Bühne; verstärkt ab 1989 nach dem Berliner Mauerfall. Wieder die bereits adaptierten Stücke, aber näher am Stück. Schillers Maria Stuart(1963), Inszenierung Raymond Hermantier(Adaptation Charles Charras); weiter sehr nah am Stück Schillers Intrige und Liebe(1995), Inszenierung und Übersetzung von Marcel Bluwal; gefolgt von Alexander Lang‘ Inszenierung des immer währenden Toleranzdenken im Nathan der Weise(1997); schließlich Goethe‘ Torquato Tasso(1989) Inszenierung Bruno Bayen; und Faust(1999) Inszenierung Alexander Lang.

Über Goethe in der Comédie-Française. [10]

Ankündigungen Goethes Theaterstücke erschienen auf den Aushangplakaten der Comédie-Française während der Pariser Besetzung(1941-44) durch die Deutschen. Die Comédie-Française sah sich gezwungen 1941 zum ersten Mal eine ausländische Theatertruppe – das Berliner Schillertheater mit Intrigue und Liebe – nach Paris zu holen; 1942 das Theater München mit Iphigenie auf Tauris. Diese Situation entsprach dem Programm des subventionierten Theaters, das die deutschen Autoren ehrte. Goethe selbst, zögerte Torquato Tasso auf Französisch zu schreiben; es wurde 1989 übersetzt und inszeniert von Bruno Bayen, mit dem Geschick eines gelungenen Rhythmus in Prosa, ohne Versform. Jedoch von der Presse definiert „mit zu viel kühler Schönheit und zu immateriell“- dass ein nicht immer leichtes Verhältnis Goethe’ Texte zum Publikum andeutete. Erst 1999 zum 250jährigen Geburtstag von J.W.v.Goethe sollte Goethe‘ Faust offiziell in das Repertoire der Comédie-Française aufgenommen werden.  Goethe bewunderte Gérard de Nerval‘ Übersetzung, mit dem persönlichen Hinweis auf: Frische, Neuheit, Luzidität. Alexander Lang findet den Faust, voller Leben, anregend, mit einer komischen Tragik, voller Spannung. Er inszenierte den Faust(1999) in der Comédie-Française, in einem grünen mit Türen gelöcherten Kubus, als Dekor, mit freiem Zutritt zu Kenntnis, unter Vorbehalt der Rückkehr. Aber auch hier von den Kritikern als zu burlesk bezeichnet und bedauerlicherweise „im Übergehen der Fantasiegestalten und seiner Mystik“.

[1] In DOCUMENTATION Programme Faust 17/18, Archive Comédie Française Paris.

[2] Ders.1

[3] Ders.1

[4] in VALENTINE LOSSEAU UND RAPHAËL NAVARRO, De la Terre au Ciel, Programme Faust 17/18, Archive Comédie Française Paris, Février 2018.

[5] Ders.4

[6] Ders.4

[7] Ders.4

[8] Ders.4

[9] In FLORENCE THOMAS, Archiviste-documentaliste à la Comédie-Française, De la libre adaptation à la version originale, Programm Faust 17/18, Archive Comédie Française Paris.

[10] Ders.9

Portrait 3/3

ANNA CERVINKA

ANNA CERVINKA. SCHAUSPIELERIN IN DER COMÉDIE FRANCAISE PARIS. SPIELT DIE ROLLE DER GRETE IN GOETHES FAUST. © Stéphane Lavoué, collection Comédie-Francaise.

Ist exzellente Schauspielfähigkeit ein purer Geniestreich oder harte Arbeit? Insbesondere dann wenn beides zusammenfällt, ist sie unantastbar; und umso bedeutender wenn ein Genie seine besonderen Kräfte dem Allgemeinwohl zur Verfügung stellt. Ein Genie ist etwas Besonderes. Nicht jeder ist ein Genie.

BIOGRAPHIE

Bis 2008 auf dem Königlichem Konservatorium in Brüssel.

Studium an der Theaterschule Demain Le Printemps in Minsk(Weißrussland).

Rückkehr nach Brüssel.

Robert Walser(erster Dialog), Robert Walser(zweiter Dialog), Continent Kafka; Regie Pascal Crochet; Théâtre Rideau; Brüssel.

Les Reines, Normand Chaurette; Regie Philippe Sirenil; Théâtre des Martyrs ; Brüssel.

Peter Pan(Glockenfee), Regis Loisel; Regie Emmanuel Dekoninck; Atelier 210.

Le Groupe, Regie Dominique Bréda.

Danse Delhi, Ivan Viripaev; Liliom, Ferenc Molna ; Regie Galin Stoev; Théâtre de la Colline; Paris.

01.06.2014 Eintritt in die Comédie-Française Paris.

Tartuffe, Regie Galin Stoev.

Le système Ribadier, Georges Feydeau für Zabou Breitmann.

La maison de Bernarda Alba, Federico Garcia Lorca; Regie Lilo Baur.

La Demande d’emploi (Nathalie), Michel Vinaver; Regie Gilles David.

Das Mädchen mit den Zündhölzern, Hans Christian Andersen; Adaptation und Regie Olivier Meyrou.

Oncle Vania (Sonia), Anton Tchekhov; Regie Julie Deliquet .

La Ronde, Arthur Schnitzler; Regie Anne Kessler.

Les Enfants du Silence(Lydia), Mark Medoff; Regie Anne-Marie Etienne.

Interieure(Marie), Maurice Maeterlinck; Regie Nâzim Boudjenah.

2017 erhält sie die Auszeichnung Le Molière pour la Révélation feminine(weibliche Entdeckung) für ihre Rollen in Oncle Vania(Sonia) und Les Enfants du Silence(Lydia).

Bis 07.01.2018, Après la pluie, Sergi Belbel; Regie Lilo Baur.

21.03. bis 06.05.2018, Faust(Grete), Goethe; Adaptation und Regie Valentine Losseau und Raphaël Navarro.

ÉCOLES D’ACTEURS – SCHAUSPIEL – LEHRJAHRE

Die Écoles d’Acteurs sind, seit acht Jahren, eine Serie geführter Interviews von Olivier Barrot(Schriftsteller, Journalist) mit den SchauspielerInnen der Truppe Comédie-Française. In einem lockeren Gespräch werden Fragen und Antworten über ihre Lehrjahre und Praxis in der Theaterkunst besprochen. Anna Cervinka war am 18.12.2017 Gast der 57. École d’Acteur, im Studio Comédie-Française(Louvre Carrousel Paris).

Olivier Barrot: „…von jeh her, verlangt die Arbeit auf der Bühne Vorstellungskraft und initiiert Leidenschaft. Dieses schönste Metier der Welt ist das unnatürlichste aller. Deshalb ist es legitim darüber zu sprechen mit denjenigen, die den Beruf ausüben. In der Tat: wie erlernt sich das, wie lehrt sich das, wie praktiziert sich das?“

„In einem gleich bleibenden Verlauf, werden die Schauspieler der Comédie-Française befragt. Deren jeweiliger Werdegang unterschiedlich ist. Im Laufe der Antworten, entdecken wir die Geheimnisse ihrer Methode, die sie selbst wahrscheinlich ignorieren. So zeigt sich die Vielzahl dieser „persönlichen Lehrjahre“, die die Truppe bildet – seit bereits über 300 Jahre.“

ANNA CERVINKA Das Mädchen mit den Zündhölzern [1]

Anna Cervinka, in Das Mädchen mit den Zündhölzern, dem bekannten und tragischen Märchen von Hans Christian Andersens(veröffentlicht 1845 in Dänemark), ist eine Adaptation von Olivier Meyron(O.M.); der beeindruckt ist von der Grausamkeit der Geschichte und ihren Resonanzen in unserer Epoche. Er übernimmt die Geschichte in seinen Bildern: einen Einkaufswagen, einen Karton und ein paar Plastikflaschen. Das Mädchen, hin u.-hergerissen zwischen der abwesenden Mutter und dem gewaltsamen Vater, schafft es durch das einfache Spiel ihre mörderische Realität in Träume(eine Traumwelt) zu verwandeln – für die Dauer eines brennenden Streichholzes.

Um nicht den Inhalt des Märchens abzuschwächen, will O.M. alle Mittel des Theaters ausschöpfen, Ton und Bild inbegriffen. Es geht nicht darum einen Film zu realisieren, sondern eine Maschinerie zu verwenden, um dieses Märchen zu erzählen und die Schauspieler auf der Bühne hervorzuheben. Bei weitem nicht die Schauspieler durch neue Technologien überzubelasten – diese Technologien sind heute selbstverständlich. O.M. will Bewegungslinien, die den Schauspielern ermöglichen stärker Junge Leute anzusprechen. Er will die grausame Geschichte nicht verniedlichen. Sondern Ton und Bild ergänzen die Erzählung, dessen Worte vom Schauspieler teilimprovisiert sind.

Worte, die in ihrer Einfachheit die besondere Härte der Situation darstellen. Zum Beispiel seiner kleinen Tochter vorgaukeln „…es wird schon gehen…“ obwohl das nicht stimmt; aber die Mutter keine andere Wahl hat. Ihre Worte sind der Refrain einer beruhigenden Musik, jedoch eine Ablenkung von der Wahrheit der Welt. Das Mädchen mit den Zündhölzern stirbt am Ende des Märchens.

ANNA CERVINKA – Das Gretchen im Faust

Die Einfachheit des Lebens ist schwer zu erkennen. So auch in Goethes Faust, ist der Urheber aller Ungerechtigkeiten der Gelehrte. Er versucht sich Gott gleichzusetzen. Obwohl es heißt: Esse nicht vom Baum der Erkenntnis. Das zu tun ist der Sündenfall. So sei es wohl bedacht vom Baum des Wissens zu essen, in der Voraussicht des Missgeschicks, einer eventuellen Nichtteilnahme an aller Lebensqualität. Doch hat dieser Baum des Wissens, das Verbot der Erkenntnis wenig mit der aktuellen Welt in der wir leben zu tun. Ist es doch die Erkenntnis, die weiterbringt, und der Mut der brilliert. Einerseits. Andererseits, bezieht sich der Sündenfall noch mehr auf die Gefühle. Von Liebe zu reden, sei hier vermieden. Die Gefühle, die den Menschen menschlicher machen als Gott, denn er lebt allein im Himmel – ohne solche Gefühle. Mehr handelt es sich diese zu erleben, stellvertretend für ihn: er hat also immer ein Auge drauf, ob oder ob nicht! – Sündenfall heißt nichts anderes als den Mut zu Freiheit. Ohne, dass sich das Gewissen meldet: ohne Angst und Wehmut eine Individualität in vollen Zügen ausleben. Das „Gretchen“ – die Gretchenfrage beinhaltet dieses für und wider der Freiheit. Wie weit kann, muss ich gehen, ohne andere zu verletzen, gar zu töten. Diese Freiheit ist eng begrenzt und überwacht.

Der Versuch des Mephisto den Doktor Faust vom Weg abzubringen gelingt. Das Unheil ist unvermeidbar; und schwärzt an erster Stelle die Gefühle. Gretchen kommt zu Fall. Das Gretchen ist die Bürgerliche Institution schlechthin. Wohl erzogen, innerhalb bürgerlicher Konventionen, mit dem Wunsch auf Weitergabe, ausnahmslos. Drängt sich auf, der Begriff der Vernunft und Ordnung; hat dieser aber nichts damit zu tun, jenseits des Weges zu leben; wo alle unwegigen Blumen blühen, die reizend, anrüchig sind. Die Erfahrungen derer, die vom Weg abkommen beweisen erst den Sündenfall. Denn vom ausweglosen Terrain gibt es kein Zurück – das erzählt in Goethes Faust Gretchens Schicksal.

Ein Plädoyer für die Unfreiheit

Dumm und unerfahren ist nicht der Weg der Vernunft sondern der der Unvernunft. Und da schließt sich die magische Schleife in der Tragikkomödie; denn aus Schaden wird man klug. Wenn früher Unheil unvermeidbar war, ist dieses heute heilbar. Es gibt genug Pflaster, die anwendbar sind. Die Bepflasterung ist die Erkenntnis. Gewusst wie! So entfernen wir uns heute von einem Hokuspokus, zu einem positiven Lebensstandard, ohne Reue und ohne Selbstbeschuldigungen. Das Gretchen ist gestrandet in ihren missverstandenen Gefühlen; mehr noch unaufgeklärt als gelehrt. So hat der Sündenfall auch was mit Aufklärung zu tun. Doch auch hier sind es nur die Stärksten, die den Sündenfall bestehen. Der Grat zwischen Freiheit und Unfreiheit ist eng; Übel und Unübel gesellen sich stets dazu. Der Weg zur eindeutigen Freiheit ist noch weit.

So sei bedacht derjenige, der nicht die Unvernunft von der Vernunft unterscheiden kann. Wenn „Anna Cervinka“ auf ihrem Weg in der Comédie-Française das Gretchen spielt, dann ist dies eine Möglichkeit, sich mit dieser unvollendeten Antwort zu befassen. Sich den Freuden eines Liebchens hinzugeben, selbst wenn dies widersprüchlich ist; die Unvernunft kommt nie alleine. „Anna Cervinka“ – Das Mädchen, die sich vom tragischen Konflikt mit den Zündhölzern nicht befreit hat. Gerne zieht sich die Weltseele ihr Tragikkostüm an; in dem sie begehrlich, wünschenswert, und des Öfteren unsterblich, wie die Liebe, unantastbar bleibt. RECHERCHIERT PETRA RAGUZ.

[1] In Texte OLIVIER MEYROU, octobre 2014; Propos recueillis par Laurent Muhleisen, conseillé littéraire de la Comédie Française;

 

Print Friendly, PDF & Email